"Komm mir jetzt nicht mit Regenbogen": So gelingt queersensibles Zuhören
«Weihnachten feiere ich mit meiner Familie. Mein Freund ist da nicht willkommen.» «Meine Pronomen stehen in der Signatur. Bei der Arbeit werde ich trotzdem misgendert.» «Auch wenn ich in eine Person verliebt bin, möchte ich keinen Sex mit ihr haben.» «Auf öffentliche Toiletten gehe ich nicht. Das ist mir einfach zu gefährlich.»
Für viele meiner Klient:innen gehören Aussagen wie diese zum Alltag. Nicht immer sind es offen homo- oder transfeindliche Angriffe, mit denen man sich als queere Person auseinandersetzen muss. Oft sind es strukturelle Benachteiligungen und manchmal auch ganz leise Töne, die (fast) unbemerkt mitschwingen, und die Harmonie dennoch stören.
Das klingt anstrengend. Und das ist es auch.
Studien belegen, dass Menschen aus der LGBTQIA+ Community in etwa dreimal so häufig mit psychischen Herausforderungen zu kämpfen haben, wie cis/hetero Personen. Die Rate queerer Jugendlicher, die einen Suizidversuch unternehmen, ist sogar um ein Fünffaches erhöht.
Ja, unsere Gesellschaft wird zunehmend offener und vielfältiger und doch ist unser Alltag stark cis-/heteronormativ geprägt. Ein sperriger Begriff, hinter dem – grob übersetzt – die Annahme steckt, dass es a) genau zwei Geschlechter gibt, die sich b) gegenseitig höchst anziehend finden. Romeo und Julia. Shrek und Prinzessin Fiona. Bachelor und Kandidatin.
Schublade auf. Schublade zu.
Doch nicht alle Menschen fühlen sich in den Schubladen «Mann» oder «Frau» wohl. Nicht jede:r verliebt sich in das «andere» Geschlecht. Überhaupt ist längst nicht jede Person auf der Suche nach einer romantischen Zweierbeziehung. Aber was passiert, wenn man queer ist? Wenn man nicht ins Schema passt? Wenn man sich als junger Mann in den Mannschaftskollegen beim Fußball verliebt? Wenn man den eigenen Körper nicht leiden kann, weil man eben breite Hüften hat, statt einem Bart? Wenn man deutlich lieber ein Buch liest oder ein Stück Pizza isst, als von «Mr. Right» zu träumen?
Genau… dann wird es schnell knifflig. Vor allem, wenn man jung ist, kein unterstützendes Netzwerk hat oder ländlich wohnt – ohne queere Infrastruktur wie Clubs, Vereine, Jugendorganisationen oder einen sensibilisierten Freund:innenkreis.
Und doch sind da Sorgen und Wünsche und Pläne und Ideen und Träume und Befürchtungen und eine erste Liebe, von der man jemandem erzählen möchte. Der Mensch sehnt sich schließlich nach Verbindung. Nach Austausch. Nach Zugehörigkeit.
Und hier kommen queersensible Zuhörende ins Spiel.
Das können sensibilisierte Familienmitglieder, Freund:innen oder Menschen aus Selbsthilfegruppen sein. Aber auch Fachpersonen aus den Bereich Beratung, Coaching und Therapie.
(K)ein Thema wie jedes andere
Jetzt könnte man behaupten, «Professionelle Coaches und Therapeut:innen brauchen keinen persönlichen Bezug zu einem Thema zu haben. Wenn sie gut ausgebildet sind, Erfahrung und Empathie mitbringen, dann reicht das, um sich in alle möglichen Anliegen einzufühlen.» Und ja…mit Sicherheit ist da was dran.
Gleichzeitig sind wir aber alle auch Menschen mit unterschiedlicher Lerngeschichte und Positionierung in der Gesellschaft, mit Privilegien (die uns mehr oder weniger bewusst sind), mit Befindlichkeiten und Überzeugungen. Und es gibt einfach Themen, bei denen wir uns zuhause fühlen, während wir zu anderen einen schwereren Zugang haben. Unser Gegenüber spürt das. Eines dieser Themen ist „Queer-Sein“ – in allen Facetten.
Wer sich schon einmal geöffnet und dabei die Erfahrung gemacht hat, dass das Umfeld irritiert, ablehnend oder gar aggressiv reagiert, wird im nächsten Gespräch vorsichtig sein oder sich seinem Gegenüber gar nicht anvertrauen. Gerade im Kontext Coaching und Therapie oder im Rahmen eines persönlichen Gesprächs sind das denkbar ungünstige Voraussetzungen für ein vertrauensvolles und konstruktives Miteinander.
Worum es geht… oder auch nicht
Als Teil der queeren Community ist es mir deshalb ein Anliegen, bereits im Vorfeld transparent zu machen, wo ich stehe (nämlich fest an der Seite meiner Klient:innen) und in meiner therapeutischen Praxis einen sicheren Raum für LGBTQIA+ Personen zu schaffen. Respektvoll, neugierig und offen nähern wir uns Themen an, die im Alltag wenig Gehör finden. Wir brechen verinnerlichte Normen und rigide Muster auf, stellen Strukturen in Frage und machen uns auf die Suche nach dem, was uns als Personen ausmacht.
Zu den möglichen Themen eines Coachings oder einer affirmativen Psychotherapie für queere Personen zählen beispielsweise:
Identität erforschen: Wer will ich sein? Wofür will ich stehen?
Coming Out: Sich selbst und anderen offen gegenübertreten
Mit internalisierter Heteronormativität und Transphobie umgehen lernen
Transition: Ist das ein Weg, den ich gehen möchte?
Intersektionalität: Der Herausforderung von Mehrfachdiskriminierung begegnen
Resilienz: Umgang mit Ablehnung, Ausgrenzung und Minority Stress
Natürlich sind diese Themen nicht für alle queeren Menschen relevant. Vielleicht hat eine Person gerade auch einfach Stress im Job, Sorgen in der Partnerschaft oder steht vor einer herausfordernden Entscheidung, bei der sie sich professionelle Unterstützung wünscht. Tatsächlich ist es aber gerade dann von Vorteil, wenn die zuhörende oder beratende Person sich in queeren Kontexten auskennt. Denn dann kann sich der Fokus des Gesprächs auf das tatsächliche, aktuelle Anliegen richten und verliert sich nicht in unnötigen Irritationen, Abschweifungen und Verständnisfragen rund um die Lebensrealität der Klient:innen.
Was also zeichnet gute queersensible Zuhörende aus?
Gute Frage. Und gar nicht so leicht zu beantworten, denn die queere Community ist wahnsinnig vielfältig. Das heißt, hinter jedem Buchstaben von „LGBTQIA+“ verbirgt sich ein ganz spezifischer Kontext, der ganz eigene Herausforderungen mit sich bringt. Für eine lesbische Frau Mitte 60 sind vielleicht andere Themen wichtig, als für einen nichtbinären Jugendlichen. Ein aromantischer Mensch wünscht sich in einer Beziehung vielleicht anderen Dinge, als ein schwuler Mann. Eine inter Person hat im Arbeitsleben vielleicht mit anderen Herausforderungen zu kämpfen, als eine trans Frau. Vielleicht teilen sich queere Menschen gewisse Diskriminierungserfahrungen. Vielleicht auch nicht.
Wenn es uns gelingt, diese Vielfalt als Bereicherung zu sehen, macht uns das als Gemeinschaft bunt und stark. Gleichzeitig heißt das aber auch: Sich aufeinander einlassen. Unterschiede aushalten. Einer Vielstimmigkeit Gehör schenken – und sich bestenfalls daran erfreuen. Das klappt aber nur, wenn man die eigenen Stereotype, Vorurteile und Befindlichkeiten genau kennt und weiß, wie man im Gespräch dennoch offen und zugewandt beim Gegenüber bleibt.
Folgende Fragen und Impulse können dabei helfen, die eigene Zuhörkompetenz und Sensibilisierung weiter zu festigen:
Welche Privilegien bringe ich mit ins Gespräch?
Welchen Bezug habe ich zu queeren Lebensrealitäten?
Kann ich „queeres Vokabular“ und Fachbegriffe sicher verstehen und benutzen?
Wo kann ich Wissen sammeln ohne Einzelpersonen damit zu belasten?
Kenne ich meine Grenzen und respektiere ich die Grenzen der anderen?
Gehe ich im Gespräch souverän mit Feedback und Kritik um?
Erlebt mein Gegenüber Mehrfachdiskriminierung (z.B.: Rassismus)?
Wie kann ich mich mit marginalisierten Personen solidarisieren?
Gelingt es mir im Gespräch, meine Meinung außen vor zu lassen?
Kann ich Unterschiede benennen, aushalten und wertschätzen?
Wo stößt mein Verständnis an Grenzen?
Bin ich bereit, immer weiter dazuzulernen?
Im Grunde geht es – wie bei allen vertrauensvollen Gesprächen – um eine offene, empathische und wertschätzende Haltung. Sich diese zu erarbeiten, aufrecht zu erhalten und entsprechend einzusetzen ist ein aktiver und andauernder Prozess.
Manchmal herausfordernd. Manchmal anstrengend. Aber immer lohnenswert.
Der Beitrag erklärt, mit welchen Herausforderungen queere Personen im Alltag zu kämpfen haben und warum es sinnvoll ist, sich in den Bereichen Coaching, Therapie, Beratung an queersensible Fachleute zu wenden. Anhand einiger selbstreflexiver Impulse wird verdeutlicht, wie man die eigene Queersensibilität ausbauen und nachhaltig festigen kann.
Über den Autor
Sy Legath hat nach dem Studium (Ethik der Textkulturen) rund 15 Jahre lang in unterschiedlichen Feldern der professionellen Kommunikation gearbeitet.
Mittlerweile ist er in seiner eigenen Praxis in Augsburg angekommen. Als Trainer, Coach und Therapeut liegen seine Schwerpunkte in den Bereichen Mental Health und Queer Empowerment.