Resilienz – das Immunsystem der Seele
Resilient sein - hinter diesem wissenschaftlich klingenden Begriff verbirgt sich zunächst ein wenig Alltagsphysik. Denn aus dem Englischen übersetzt bedeutet das Wort „elastisch, federnd, widerstandsfähig“. Du kennst doch sicher die weichen, bunten Anti-Stress-Bälle, die - egal wie sehr man sie knetet - immer relativ schnell wieder in ihre runde Ursprungsform zurückkehren? Ähnlich verhält es sich mit einem Menschen, den wir resilient nennen. Ein „Stehauf-Mensch“ meistert Unerwartetes und geht gestärkt aus Krisen hervor. Was du tun kannst, um resilienter zu werden, fasse ich in diesem Blogbeitrag zusammen.
Die Idee der Resilienz basiert auf einer Denkweise, die nicht die Probleme und Symptome, sondern die Ressourcen eines Menschen in den Mittelpunkt stellt. Wegbereiter war der Soziologe Aaron Antonovsky. Er plädierte dafür, die Fragen anders zu stellen: Statt "Was macht jemand falsch, so dass er oder sie unglücklich und krank wird?" zu fragen: "Was macht jemand (bereits) richtig, so dass er oder sie dadurch glücklicher und gesünder wird?“
Jeder Mensch hat ein individuelles Nervenkostüm und reagiert unterschiedlich auf Stressoren. Stressoren können zum Beispiel Lärm, Zeitdruck, Krisen, Krankheiten oder negative Gedanken sein. Stress ist nicht per se etwas Negatives. Nach dem Mediziner Hans Selye ist er eine „unspezifische Reaktion des Körpers auf jede Anforderung, die an ihn gestellt wird“. Stress kann uns kurzfristig anspornen. Wenn wir jedoch häufig oder dauerhaft gestresst sind, macht uns das krank.
Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, …
dass Resilienz die Gesundheit fördert: Wir erholen uns schneller und bleiben länger gesund.
dass Resilienz sich in der frühen Kindheit entwickelt; kann aber auch im späteren Leben erlernt werden.
Beim Lernen kommst du ins Spiel. Es gibt sieben Stellschrauben, an denen du drehen kannst.
1. Ziele setzen
2. eine optimistische Haltung einnehmen
3. das Unvermeidliche akzeptieren
4. Lösungsorientiert denken
5. Opferrolle verlassen
6. Verantwortung übernehmen
7. Netzwerke pflegen
1. Ziele setzen
„Lebe im Hier und Jetzt“ - diesen Rat hört oder liest man oft, wenn es um psychische Gesundheit geht. So wichtig es ist, die Gegenwart zu genießen - das Konzept der Resilienz geht noch einen Schritt weiter. Demnach tut es Menschen gut, mit Freude und Neugier in die Zukunft zu blicken, also ein Ziel oder Ziele zu haben. Was wünschst du dir für die kommenden Jahre? Was würdest du gerne der Welt, deinen Kindern, deinen Freund:innen hinterlassen? Schreibe deine Vision auf und frage dich am Ende des Tages: Welche Entscheidungen habe ich heute getroffen, die mich meinen Zielen näher bringen? Worauf bin ich heute stolz?
2. Optimistische Haltung einnehmen
„Ein Optimist ist ein Mensch, der alles halb so schlimm oder doppelt so gut findet“ - dieses Zitat von Heinz Rühmann verdeutlicht, dass eine Änderung des Blickwinkels und des inneren Dialogs aus einem Pessimisten einen Optimisten machen kann. Leicht gesagt. Es gibt ein paar Tricks, wie du deine negativen Gedanken dämpfen oder ausschalten kannst. Probiere sie aus!
Wenn du wieder einmal grübelst, rufe vor dich hin oder laut nach draußen „Stopp“. Das Signal soll das Gedankenkarussell stoppen und dich dazu bringen, dich etwas anderem zuzuwenden.
Lächeln! Auch wenn es sich künstlich anfühlt. Dein Gehirn und deine Gefühle folgen deinen Gesichtsmuskeln.
Suche bewusst nach dem Guten in einer Situation. Vor deiner Wohnung war kein Parkplatz mehr frei? Statt dich zu ärgern, genießt du den kleinen Abendspaziergang und entdeckst ein neues Geschäft zwei Straßenecken weiter.
Führe ein Dankbarkeitstagebuch. Für welche drei Dinge bist du heute Abend dankbar? Manchmal ist man erstaunt, was man einem vermeintlich sch... Tag noch gewinnen kann. Statt einer To-Do-Liste schreibe eine Das-habe-ich-geschafft-Liste.
Dosiere, wann und wie viele Nachrichten du konsumierst. Geh für eine Weile „offline“, sonst wirst du mit Negativem bombardiert.
Umgib dich nicht (nur) mit Miesepetern, sondern auch mit Sonnenkindern. Jammern färbt ab, Lachen steckt an.
Vergleiche vermeiden. Das Gras des Nachbarn ist angeblich immer grüner. Das stimmt oft nicht, und selbst wenn: Vergleichen macht unglücklich.
Lies von Zeit zu Zeit Bücher oder Blogartikel wie diesen. Optimismus ist ein Muskel, der trainiert werden muss.
3. Das Unvermeidliche akzeptieren
Was ist, das ist, und vieles vergeht einfach. Das Leben ist einem ständigen Wandel unterworfen. Wer eine Situation akzeptiert, schließt Frieden mit ihr und kann von dort aus weitergehen. Um Unveränderliches kann man trauern, aber irgendwann ist es einfach Zeit, loszulassen. Du hast in der Vergangenheit Schwierigkeiten gemeistert und wirst es auch wieder tun. Was hat dir damals geholfen? Gerd Kaluza hat eine Notfallstrategie definiert: Akzeptieren der Situation (nicht hadern, nicht wehren), Abkühlen der Gefühle (z.B. durch Entspannungstechniken und tiefes Durchatmen), Analysieren (ist es wirklich so schlimm?) und Handeln (Nein sagen). Wenn sich an der Situation nichts ändern lässt, hilft Ablenkung (z.B. Lesen, Musik hören).
4. Lösungsorientiert denken
Wer viel grübelt und viel über Probleme redet, macht sie gedanklich größer. Statt über Fehler und Schuld nachzudenken, ist es besser, nach einer Lösung zu suchen und zu handeln. Dabei hilft es, wenn du dich fragst, „wie“ du es schaffst und „was“ du dafür brauchst und nicht „ob“ du es schaffst. Eine mögliche Lösung kannst du ausprobieren nach dem Motto „einfach mal machen“. Manchmal denken wir zu schnell, dass wir ein Problem schon in all seinen Facetten erfasst haben. Aber ist das wirklich so? Schreibe alles auf, was dir zu deiner Herausforderung einfällt - auch Verrücktes und Abseitiges ist willkommen. Was könntest du tun, um das Problem zu verschärfen? Welche unbeteiligte Person könntest du um Rat fragen? Schlage irgendwo ein Wörterbuch auf und wähle willkürlich ein Wort aus - was könnte es mit dem Problem zu tun haben?
5. Opferrolle verlassen
Manchmal werden wir Opfer - vielleicht durch einen Unfall, durch Zufall oder durch das Handeln eines anderen. Das können wir nicht verhindern. Aber im Konzept der Resilienz geht es darum, dass wir uns nicht in der Opferrolle einrichten und darin verharren. "Warum sollte ich das tun? Weil die Opferrolle manchmal so bequem ist. Sie entlastet uns von Verantwortung und wir bekommen Zuspruch von anderen. Aber das hält nicht ewig und wir verlängern nur den Schmerz. Mach aus deinem Leben in Gedanken keinen Katastrophenfilm. Versuche auch hier die oben erwähnte „Stopp“-Technik und bleibe kraftvoll. Frage dich ehrlich: Wie bedrohlich ist das Problem wirklich? Muss ich wegen x oder y wirklich tagelang deprimiert, wütend, verzweifelt, gekränkt sein?
6. Verantwortung übernehmen
Eltern sind für ihre Kinder verantwortlich, und eines Tages werden Kinder vielleicht für ihre Eltern verantwortlich sein. Dazwischen sind wir als Erwachsene, abgesehen von gesetzlichen oder medizinischen Ausnahmen, für uns selbst verantwortlich. Wir sind „unseres Glückes Schmied“, d.h. wir sind selbst dafür verantwortlich, wie wir mit unserem Körper, unserem Geist und anderen Menschen umgehen. Im Idealfall haben wir unsere Wünsche und Ziele im Blick und schaffen eine Balance zwischen Anspannung und Entspannung. Um uns so verhalten und steuern zu können, müssen wir uns selbst wahrnehmen und kennen(lernen). Dabei helfen folgende Fragen: Welche Eigenschaften, Werte, Fähigkeiten habe ich? Was sind meine Stärken und Schwächen? Wie fühle ich mich? Was traue ich mir zu? Was brauche ich? Was bin ich mir wert? Und nicht zuletzt: Wie sehen mich andere?
7. Netzwerke pflegen
Wohltuende Bindungen und Kontakte stärken unsere Widerstandskraft. Familie, Freunde und auch virtuelle Beziehungen sind Netzwerke, in denen wir uns in schwierigen Zeiten Hilfe holen können. Hand aufs Herz: Wann hast du dich das letzte Mal bei jemandem aus deinem Netzwerk gemeldet? Wie lange schiebst du ein Telefonat oder einen Besuch vor dir her? Beziehungen brauchen Zeit, Aufmerksamkeit und Zuwendung. Wie Pflanzen wollen sie regelmäßig gegossen werden. Kontakte sind vor allem dann kraftspendend, wenn sie ein Geben und Nehmen sind. Um Hilfe zu bitten kostet vielleicht Überwindung, ist aber kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke und Mut.
Das war jetzt viel „Holz“ und soll nicht erschlagen, sondern ermutigen. Es gibt viele Punkte, an denen wir ansetzen können, um resilienter zu werden. Wir alle haben unsere Geschichte, unser „Päckchen zu tragen“, wie man manchmal sagt. Aber wir haben die Wahl. Entweder tragen wir den Rucksack widerwillig, ächzend, fluchend und gebeugt unter der Last, oder wir machen uns den Rücken gerade, werfen vielleicht ein paar Steine aus dem Rucksack und gehen Schritt für Schritt vorwärts.
Über die Autorin
Yvonne Müther ist gelernte Crossmedia-Redakteurin. Seit einigen Jahren engagiert sich die Wahl-Hamburgerin zusätzlich für die seelische Gesundheit - unter anderem ehrenamtlich bei REDEZEIT und in der Seelsorge. Zu ihren bevorzugten Methoden gehören ressourcenorientierte Gesprächsführung, Resilienz und Lösungsfokussierung. Wer mehr darüber erfahren möchte, wird hier fündig: http://yvonnemuether.de