Verbundenheit statt Einsamkeit: Wie uns Einsamkeit schwächt - und wie wir ihr begegnen können
Wir begegnen Vielen
mit wenig Kontakt
umtrieben von Zielen -
die Fassaden sind glatt.
Und das Herz innen drin
hält vom Flüstern sich klein
sehnt sich zwischendrin
so ungemein
zwischen
schönem Schein & Einsamsein
nach spürbarer Nähe
zu anderen Herzen
und hofft es sähe
auch ihre Schmerzen
Sehnt sich es fühle
die anderen ganz
nicht nur die Hülle
aus falschem Glanz
Sondern die unzensierten Facetten
Raus aus dem trennend-maskiertem Verstecken
Das Herz will Verbindung, will leben und lachen
Drum lass es zu
es auf zu machen.❤️
Tamara Drexler
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Während die einen Menschen die “kuschelige Zeit” des Jahres in den kühleren Monaten gerne für sich nutzen um übers vergangene Jahr zu reflektieren und neue ambitionierte Pläne fürs kommende Jahr zu schmieden, mehren sich in dieser Zeit für eine wachsende Anzahl von Menschen Gefühle von Einsamkeit und mangelnder Verbundenheit. Dass diese Belastungen allerdings einen übergreifenden und steigenden, nicht saisonal limitierten Trend darstellen, belegen eine Vielzahl von deutschen und auch internationalen Studien und Reports¹.
Dabei ist Einsamkeit nicht gleichzusetzen mit Alleinsein, wie oft missverständlich angenommen wird. Man kann allein sein und doch nicht einsam, ebenso wie man einsam sein kann, obwohl man nicht allein ist. Einsamkeit bildet die subjektive Empfindung von mangelnder emotionaler und/oder physischer Verbindung mit der Umwelt und Mitmenschen ab, welche sowohl aus der Unfähigkeit, sich alleine mit sich wohl zu fühlen entstehen kann, oder auch im gegebenen Kontakt mit Mitmenschen, aber eben ohne der subjektiv erfahrenen tatsächlichen Verbundenheit.
„In der Welt des Einsamen gibt es nichts, was sich vertraut anfühlt. Man ist fremd in der Welt”, wie es Psychologe und Gefühls-Philosoph Michael Lehofer beschreibt.
Einsamkeitsgefühle treffen längst nicht mehr nur Individuen älterer Gesellschaftsgruppen, etwa während sie durch den Verlust des/der Partner*in ihre Tage alleine, teilweise in großen Häusern verbringen. Auch immer mehr junge Menschen sehen sich mit diesen Gefühlen konfrontiert. Und das trotz steigender Anzahl sozialer Medien und digitaler Vernetzungsmöglichkeiten.
Hatte man früher einfach mehr Zeit für Verbundenheit? Oder war die Verbundenheit verbindlicher, weil wir nicht ständig von einem gezeitenlosen Meer aus Alternativoptionen umgeben waren? Ich will jetzt gar nicht in eine “früher war alles besser” - Nostalgie verfallen, sondern schlicht beobachtend abbilden, dass das (soziale) Leben in der damaligen Zeit wohl etwas innehatte, was uns heute offensichtlich an der ein oder anderen Stelle fehlt.
Und nicht erst seit Beginn der Corona-Pandemie ist diese Thematik aktuell. So hat Großbritannien bereits seit Anfang 2018 eine Ministerin für Einsamkeit. Und auch unser Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach forderte im Mai 2019 eine Regierungsbeauftragte oder eine Regierungsbeauftragten, die oder der sich aus medizinischen Gründen um das Problem anhaltender Einsamkeit in der Gesellschaft kümmert.
Es ist allerdings durchaus legitim zu sagen, dass die Pandemie die bestehende Dysbalance weiter verstärkt hat. In jedem Fall steht fest, dass diese Belastungen nicht kleinzureden sind und eine wachsende Herausforderung für die psychische, aber auch physische Gesundheit vieler betroffener Personen darstellt.
So kommt eine Studie des wissenschaftlichen Dienstes der EU-Kommission² zu dem Ergebnis, dass sich während der Corona-Krise die Häufigkeit von Einsamkeitsgefühlen unter EU-Bürgern verdoppelt hat. Und die aktuellen Ergebnisse der Nako Gesundheitsstudie³ zeigen auf, dass in diesem Zuge depressive Symptome, ebenso wie Angst- und Stresssymptome, unter der deutschen Bevölkerung zugenommen haben.
Das Grundbedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit, ebenso wie die Angst, diese Sozialität zu missen, sind tief in uns verwurzelt. Rühren sie doch von unserer Abstammungsgeschichte aus einer Zeit, in der wir in Stämmen, Clans und Sippen gelebt haben und diese soziale Eingebundenheit nicht nur üblich, sondern auch lebensnotwendig war.
Demgegenüber steht uns im gegenwärtigen Dasein ein Streben nach Individualität und Selbstverwirklichung, das Bedürfnis uns selbst in unserer Einzigartigkeit kennenzulernen, in uns schlummernde Potentiale zu entfalten und uns zu anderen Individuen zu kontrastieren.
Dieses Streben ist gerade in unserer “westlichen Gesellschaft” sehr ausgeprägt, wo wir auch zu größeren Teilen Zugang zu den dafür nötigen Ressourcen und Möglichkeiten haben. Glücklicherweise?
Zum Teil ja, zum Teil kommt auch dieses Potential, wie fast alles im Leben, mit seinem Preis.
Dieser drohende oder bestehende Schiefstand in Richtung “lonesome rider” - Dasein bringt den Preis mit sich, dass wir uns möglicherweise ängstlicher fühlen, selbst anzweifeln, in sich wiederholende Gedankenspiralen abdriften, dass unsere Wahrnehmungs- und Denkbreite auf ungesunde Weise verengt wird. Physiologisch sind wir ja doch immer noch die Stammeswesen von damals, die sich in dieser immer dynamischeren Kultur der Kontrastierung und Individualisierung oftmals überfordert und eben einsam fühlen.
Wird unser Bedürfnis, mit anderen Menschen zusammen zu sein und uns verbunden zu fühlen, zunehmend nicht erfüllt, erzeugt dies psychischen und physischen Stress. Wir alle wissen sicherlich, dass gerade länger andauernder Stress sich negativ auf uns, inklusive unserer Immunfunktion, unserem vegetativen Nervensystem, Schmerzempfinden, auf unsere Kognitionen und Emotionen auswirkt.
Viele Wissenschaftler postulieren sogar, dass dieser psychosoziale Stress “so schädlich wie Rauchen”⁴ für unsere Gesundheit sei.
Kennst auch du Einsamkeitsgefühle?
Oftmals können verdrängende Verhaltensweisen diese Gefühle überdecken, etwa das übermäßige Durchscrollen in Sozialen Medien, der unverhältnismäßige Kauf neuer Dinge, emotionales Essen oder ähnliche Versuche, diesen gefühlten Mangel zu (pseudo-) kompensieren. Diese symptomatisch orientierte Strategie ist allerdings oftmals nicht nachhaltig, weil sie eben nicht ursächlich konfrontativ, und noch dazu häufig mit negativen “Nebenwirkungen” verbunden ist.
Doch nun schwenken wir unseren Blick weg vom Mangel und von Problemanalysen, hin in Richtung Ressourcen und Lösungen.
Wie jeder Lösungsmarsch erfolgt auch dieser mit dem ersten wichtigen Schritt: Akzeptanz. Nimm Einsamkeitsgefühle als wichtige Signalgeber für nötige Kurskorrekturen an. Mit diesen Empfindungen bist du sicherlich nicht alleine. Und wenn du nicht alleine bist, gibt es auch Wege aus der Einsamkeit.
Außerdem hilft uns auf diesem Weg das Bewusstsein über den enormen Wert und die gesundheitlichen Vorteile von Sozialität und Verbundenheit.
Vom erweiterten Pool an Lösungsideen und Ressourcen für die Probleme und Herausforderungen des Einzelnen, hin zur emotionalen Stütze und Pufferung der bereits genannten Stresssymptome durch die Ausschüttung unseres “Kuschelhormons” Oxytocin, welches wir insbesondere im menschlichen Kontakt ausschütten. Was Vielen nicht bewusst ist: Um von den gesundheitlichen Vorteilen dieses Hormons, ebenso wie den förderlichen Inputs anderer Personen zu profitieren, ist der physische Kontakt nicht einmal zwingend notwendig.
Auch der digitale Kontakt, solange er emotional greifbar und authentisch gestaltet ist, baut uns Brücken zu diesen Ressourcen und lässt uns diese sogar noch flexibler, sprich, orts- und zeitunabhängiger, begehen, als dies oft in physischer Präsenz möglich wäre.
REDEZEIT FÜR DICH setzt an genau diesem Potential an und schafft als digitale Plattform ein niedrigschwelliges Angebot, über das du dich mit eben jenen Personen vernetzen kannst, die vielleicht ein paar (neue) Lösungsideen für deine Herausforderungen haben, in erster Linie aber: Ein offenes Ohr und offenes Herz, einfach mal jemand, der empathisch zuhört und dir in deiner Position von Einsamkeits- und Ohnmachtsgefühlen die Hand reicht. Insbesondere dann, wenn es für dich zu weit außerhalb deiner Komfortzone und/oder sogar außerhalb deiner realisierbaren Möglichkeiten liegt, mit Freunden oder Familie über diese Gefühle zu sprechen.
Neben den Begegnungen auf REDEZEIT FÜR DICH, was können wir darüber hinaus tun, um uns im Schiefstand auf der polaren Achse “Individualität vs. Sozialität” zurück in Richtung Mitte zu bewegen? Nachfolgend noch ein paar Ideen:
Du kannst dich digital oder analog mit Menschen vernetzen, denen es vielleicht ähnlich geht, zum Beispiel über entsprechende Angebote für gemeinsame Spaziergänge, sportliche Aktivitäten oder Kochabende. So kannst du dich beispielsweise über die digitale Plattform “Meetup” lokalen Gruppen oder Events anschließen, die für dich interessant klingen und bei denen du auf Gleichgesinnte triffst.
Auch das Lesen von Blog-Artikeln von Menschen, die ihre Erfahrungen mit Einsamkeitsgefühlen teilen, können dir helfen, deine eigenen Gefühle besser einzuordnen und neue, gesundheitsfördernde Inspirationen zu erhalten.
Übe dich schrittweise und in deinem Tempo darin, dich mit dem Raum außerhalb deiner Komfortzone anzufreunden. Insbesondere, wenn deine Komfortzone sich gar nicht mehr so komfortabel anfühlt und es darin ziemlich einsam geworden ist. Dies kann in diesem Kontext so aussehen, dass du bewusst Kontakt zu Menschen aufnimmst, die du bereits in deinem Bekannten, Familien- und Freundeskreis hast und ihnen deine gefühlte Einsamkeit mitteilst. Denn sie darf sein, aber sie soll und muss nicht nur bei dir sein. Ist es schließlich nicht schade, der Einsamkeit zu viel Raum zu geben, obwohl du tolle Menschen in deinem Kreis hast, die deinen Schritten raus aus der Komfortzone sicherlich gerne entgegenkommen? Andersherum kannst auch du diese Person sein, die auf eben jene zugeht, die auf dich einen einsamen Eindruck machen und ihnen deine Hand reichen. Selbst ein kleines, ehrliches Kompliment kann wertvolle Brücken schlagen. Oder dich sozial / karitativ zu engagieren - egal ob lokal, international, analog oder digital. Denn oftmals hilft es uns selbst enorm, anderen das zu geben, was wir uns selbst für uns wünschen. Gandhi würde hier sicherlich zustimmen.
Sich einsam zu fühlen wird unwahrscheinlicher in prosozialen Umgebungen wie Cafes, Parks und frequentierten Zonen deines Wohnortes oder in erfrischend neuen Umgebungen. Neben den direkten Kontaktmöglichkeiten können dir dort alleine die Geräusche und Energien anderer Mitmenschen helfen, dich weniger einsam zu fühlen, also begib dich bewusst dorthin.
Glaubst du? Auch Religiosität, Spiritualität und Meditation können ganz individuelle und flexible Ressourcen tragen, um Einsamkeitsgefühlen zu begegnen.
Stelle deine Wohnsituation auf den Prüfstand: Lebst du alleine? Vielleicht wäre es eine Überlegung wert, mit Freunden, Bekannten, Familienmitgliedern oder digital ersuchten Mitmenschen zusammenzuziehen oder sich mit Co-Living Angeboten vertraut zu machen. Wie klingt außerdem der Gedanke, dass es nicht unbedingt die Wohn-Konstellation an sich, sondern vielleicht der ganze Wohnort ist, der in deiner aktuellen Lebensphase nicht opportun für dich ist? Oftmals ist der Ort, in den wir hineingeboren wurden, nicht zwingend deckungsgleich mit dem Ort, an dem sich viele Mitmenschen tummeln, die mit uns Werte und Interessen teilen und eine ähnliche Lebensgestaltung führen. Von solchen ähnlich schwingenden Menschen umgeben zu sein, kann dir enorm viel Rückenwind in Richtung Verbundenheit und Zugehörigkeit geben.
Versuche die Potentiale zu nutzen, die die Einsamkeit birgt (oder besser gesagt: Klammere die Einsamkeit aus dem Alleinsein aus). So kannst du diese “exklusive Me-Time” beispielsweise für kreative Projekte, Selbstreflexion und Lesen oder körperliche Verwöhnprogramme nutzen. Vielleicht gibt es da einige Dinge, die du schon lange mal machen wolltest, bisher aber nie die Zeit dafür gefunden hast, und notierst dir diese als Liste initiativ auf einem Zettel?
Zusammenfassend möchte ich die Vision zeichnen, dass wir uns sowohl auf individueller, selbst-verantwortlicher und ebenso auf gesamtgesellschaftlicher Ebene eine Lebensgestaltung ermöglichen, die Individualität und Sozialität in sich vereint und eine Balance dieser Pole anstrebt, anstatt sie als wechselseitig ausschließend auszuleben.
Beide Kräfte brauchen unser Bewusstsein und davon abgeleitete praktische Handlungen, wenn wir ein nicht einseitiges, sondern facettenreiches und vor allem verbundenes Leben führen wollen: Mit uns selbst, und eben auch mit unseren Mitmenschen.
QUELLEN:
1. IW-Report 22/2019 (2019), Einsamkeit in Deutschland;
Einsamkeit - Gutachten für den Sozialverband Deutschland (2020);
Goebel Jan u.a. (2020), Psychische Krise durch Covid-19?;
Huxhold, O. und Engstler, E., Soziale Isolation und Einsamkeit bei Frauen und Männern im Verlauf der zweiten Lebenshälfte, in: Vogel, C., Wettstein, M. und Tesch-Römer, C. (Hrsg.) (2020)
2. https://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/handle/JRC125873
3. https://nako.de/wp-content/uploads/2020/11/PM_COVID-19-Fragebogen_2020_11_24_final.pdf
4. z.B. Unizeitung wissen|leben Nr. 8, Jana Haack (2020)
Über die Autorin
Tamara Drexler (29), gebürtige Passauerin und derzeit wohnhaft in Berlin, ist angehende Heilpraktikerin für Psychotherapie mit einem betriebswirtschaftlichen Background.
Nach ihrem Studium (Business Administration and Economics) an der Uni Passau mit einem Auslandssemester in San Diego, war sie zunächst als Marketingleiterin in einem mittelständischen Unternehmen in der Region tätig.
Dabei gab es stets ein inneres Flüstern, der Begeisterung für Psychologie auch beruflich mehr Zuwendung zu schenken. Diese Neugierde, sich selbst und ihre Mitmenschen besser zu verstehen und Verbindungen zu knüpfen, führte sie vor etwa 2 Jahren zur Ausbildung als Heilpraktikerin für Psychotherapie.
Aktuell möchte sie nach der im Mai 2022 abgeschlossenen Prüfung über Seminare, Fortbildungen und Praktika, ihre Ausbildung ausbauen und Fokusbereiche schärfen.
Beruflich und privat hatte das Schreiben als kreativer Kanal schon immer einen hohen Stellenwert. Hierzu gehören auch Gedichte (z.B. für Geburtstage, Hochzeiten und andere besondere Anlässe), die sie individuell auf Anfrage verfasst.