Von der Wirkung der Wertschätzung

Mal angenommen… wir haben etwas – jedenfalls in unseren Augen – Beachtliches geleistet. Vielleicht haben wir eine Aufgabe zum Abschluss gebracht, für die wir auf viel Angenehmes hatten verzichten müssen. Wir mussten so manches Schöneres absagen und uns stattdessen mit Disziplin, Durchhaltevermögen, Doppelschichten und Deadlines herumschlagen. Lebenszeit wurde investiert und anderes wiederum vernachlässigt: Mitmenschen, Verpflichtungen, Vergnügen, und nicht zuletzt – wir selbst. Doch irgendwie scheint es keinen so richtig zu interessieren. Unsere Mühen und Opfer, unsere zur Anwendung gekommenen Fähigkeiten und aufgebrachten Anstrengungen. Niemand hält inne. Keiner blickt auf.

Vielleicht war es nicht einmal etwas Aufsehenerregend-Besonderes, was wir getan haben, aber ein bisschen bemerkenswert finden wir es schon. Bemerkenswert. Es wert, bemerkt zu werden. Nicht nur von uns selbst, sondern auch von anderen. Das Ausbleiben von Anerkennung tut weh. Es schmerzt, wenn der Wert, den wir selbst in unseren großen und kleinen Handlungen, in unserem Denken, Fühlen und Sein erkennen, von anderen unbemerkt bleibt.

Nun könnte man meinen, dass, wer sich so abhängig macht von den Rückmeldungen durch andere, selbst schuld ist an seinem Unglück. Aber Anerkennung ist ein menschliches Grundbedürfnis, auch jenseits von „Likes“ und Klicks. Aus Erstaunen und Empörung über die Ignoranz der Umwelt erwächst Frustration. Wut wird zu Verzweiflung. Anhaltende Enttäuschtheit verkümmert zur Resignation. Wir alle wünschen uns, gesehen werden. Nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern wirklich gesehen zu werden. Das, was wir täglich tun und leisten. Die Spuren, die wir in der Welt hinterlassen, indem es uns gibt.

Gut möglich, dass wir in diesem Zustand den Blick stark auf uns selbst gerichtet halten. Vielleicht müssen wir ihn erst einmal wieder lockern, lösen und von uns selber losreisen. Wertschätzung muss nämlich keine knappe Ressource sein und bleiben. Wir können uns von der abwartenden Position befreien und aktiv etwas in Gang setzen: Eine Spirale der Wertschätzung. Denn wer Anerkennung sät anstatt darauf zu hoffen, hilft mit, diese zu vermehren, ihre Früchte gemeinsam mit anderen zu ernten und an viele Menschen weiterverteilen. Sowas kommt ganz ohne Kalkül, Eigennutz und Manipulation aus, sondern mit bloßer Achtsamkeit, die wir uns nicht scheuen, füreinander sichtbar, hörbar und spürbar zu machen. Hier fünf Tipps, wie dies in der Praxis aussehen kann.

Fünf Tipps, um die Wertschätzungsspirale anzukurbeln:

1. „Danke“ sagen – gerade für die Kleinigkeiten des Alltags

Wir erledigen täglich tausende von kleinen Dingen, denen wir selbst oft kaum Beachtung schenken. Das Alltägliche mag vielleicht unbedeutend und profan wirken, aber erledigt werden muss es trotzdem. Kaffee kochen, Spülmaschine ausräumen, Essen zubereiten, Einkäufe erledigen, Rechnungen bezahlen, Müll raustragen, Reifen wechseln, Reisen buchen, Geburtstagskarten verschicken oder wichtige E-Mails… Die Liste ließe sich ewig fortsetzen. Wenn wir uns angewöhnen, uns bei unseren Mitmenschen – ob bei Partnern, Kindern, Kollegen, Freunden, wem auch immer – auch für scheinbar Selbstverständliches zu bedanken, werden wir bald feststellen, dass Worte des Dankes ansteckend sind und auch sie sich (möglicherweise) bald häufiger bedanken werden. Bei uns und bei anderen. Also: Öfter Danke sagen oder schreiben – besonders für die vielen Kleinigkeiten, die unseren Alltag zusammenhalten!

2. Loben – nicht nur dass uns etwas gefallen hat, sondern auch was!

Manche Vorgesetzte pflegen ja zu sagen: „Nicht gemeckert ist genug gelobt!“ Je nach Region und Branche kann auch die Rede sein vom Maulen, Schimpfen oder Tadeln. Wie auch immer. Menschen, die so etwas sagen (und ernsthaft glauben) möchte man wohl lieber nicht um sich haben. Denn wir mögen es, gelobt zu werden. Das gilt für Erwachsene wie Kinder gleichermaßen. Wenn wir etwas Besonderes geleistet haben, gibt uns positives Feedback zu verstehen, dass es gesehen wurde und in der Welt wirkt. Unser Tun hinterlässt Spuren.

Dem „Lob“ wird gerne nachgesagt, es würde ein Gefälle schaffen. Der Lobende stelle sich gönnerhaft über den Gelobten. Leider hält das gerade diejenigen vom Loben ab, denen Begegnung auf Augenhöhe besonders am Herzen liegt. Dem muss nicht so sein, solange ein Lob spezifisch und konkret ist. Das macht es weniger austauschbar. Was genau ist dem anderen hier unserer Ansicht nach enorm gut gelungen, was sticht heraus, wodurch hebt es sich ab und weswegen hallt es in uns und vermutlich auch in anderen nach?

Lassen wir uns also nichts einreden und einander öfter ein Lob aussprechen. Damit können wir – auch erwachsenen Menschen gegenüber – ruhig etwas großzügiger umgehen.

Also: Statt zu meckern, maulen, schimpfen und tadeln, einfach mal öfter ein Lob aussprechen!

3. Perspektiven relativieren

Wer kennt sie nicht, die Maslow’sche Bedürfnispyramide? Als Erstes wollen wir essen, schlafen und – die meisten jedenfalls – Sex. Sobald unsere Grundbedürfnisse gedeckt sind, wünschen wir uns sichere Wohn-, Arbeits- und Einkommensverhältnisse. Zugegeben, hier fängt es bei vielen an zu haken, zu stottern und zu hapern. Um an unsere sozialen Bedürfnisse, also Beziehungen und Freundschaften, zu denken, fehlt es an Zeit, Energie und Ressourcen, wenn die daruntergelegene Ebene auf wackeligen Füßen steht. Am Gipfel der Pyramide stehen Anerkennung, Wertschätzung und – wäre das nicht herrlich? – Selbstverwirklichung.

Was aber, wenn die Person neben uns gerade ganz woanders steht als wir selbst? Befinden wir uns womöglich schon kurz vor der Selbstverwirklichung, während ein Freund von uns täglich um die Erfüllung der Basisbedürfnisse kämpft? Graut es uns womöglich vor der nächsten Rechnung im Briefkasten oder in der Inbox, während unsere Bekannten sich über schlechte Renditen beschweren?

Sorgen, Nöte, Wünsche und Hoffnungen sind immer relativ. Und trotzdem und gerade deshalb sind sie durchaus ernst zu nehmen und mit Respekt zu behandeln – in jede Richtung hin. Egal auf welchem Breitengrad der Bedürfnispyramide sie angesiedelt sind.

Also: Für einen empathischeren Umgang miteinander sollten wir öfter mal die Perspektiven wechseln und den Blickwinkel anderer Menschen einnehmen. Unsere Sicht auf die Dinge ist nur eine von vielen möglichen Seiten.

4. Werte + Schätzen = Wertschätzung

Die Maslow’sche Bedürfnispyramide ist das eine, individuelle Bedürfnisse und Werte etwas anderes. Jeder hat welche, aber nicht alle haben die gleichen. Von Abenteuerlust und Beständigkeit über Disziplin, Empathie, Flexibilität, Gelassenheit, Humor, Integrität, Kreativität und Leidenschaft bis hin zu Mut, Ordnung, Ruhe, Spontaneität und Zugehörigkeit… Die Liste ist fast endlos lang.

Wenn der wohlsortierte Ordnungsmensch auf den kreativen Chaoten (oder den chaotischen Kreativen) trifft, kann es leicht knirschen oder gar krachen. Müssen der Leutselige und die Ruheliebende ein Büro miteinander teilen, kann das bald zu schlechter Stimmung führen. Und vergisst die Mitbewohnerin schon wieder vor lauter Ausgelassenheit und Lebensfreude die WG-Küche hinter sich aufzuräumen und in einem passablen Zustand für den Nächsten zu hinterlassen, können irgendwann die Fetzen fliegen.

Wenn wir unsere individuellen Bedürfnisse erfüllen möchten, ob allein oder im Zusammenspiel mit anderen, müssen wir sie erst einmal selber kennen und benennen können. Welche Werte machen uns aus? Wofür stehe ich? Was ist für mich nicht – oder nur bedingt – verhandelbar? Haben wir das erst einmal herausgefunden und formuliert, hört es dort allerdings nicht auf. Auch unsere Mitmenschen haben Bedürfnisse und Werte, die anerkannt werden wollen. Dafür braucht es Dialog und aufmerksame Beobachtung. Und das am besten, bevor die Eskalationsspirale sich emporgeschraubt hat und es zum großen Knall kommt.

Also: Eigene und anderer Menschen Werte zu schützen und zu schätzen – daraus entsteht Wertschätzung. Bestenfalls auf allen Seiten. Darüber muss und darf geredet werden. Ohne Zwist und Zank und Streit.

5. Ein Hoch auf die Unvollkommenheit!

Jeder von uns hat Schwächen und nicht alles geht uns ebenso leicht von der Hand wie (anscheinend) den meisten anderen. Dafür wiederum haben unsere Zeitgenossen ein illustres Repertoire an Mankos vorzuweisen – oder zu kaschieren. Menschen sind unterschiedlich. Und daher erledigen sie gewisse Aufgaben mitunter auch etwas unbeholfener oder nur ungern, vielleicht mit großem Widerwillen, zuweilen mehr schlecht als recht, wenn überhaupt…

Ein frischgebackener Papa wickelt sein Baby vielleicht ein wenig schiefer und kreativer als die Oma, die dereinst sieben Kinder großzog (und zwar allesamt mit Stoffwindeln!). Die bessere Hälfte hasst es, die Spülmaschine auszuräumen (denn aus irgendeinem Grund nimmt das nie ein Ende) und räumt das Geschirr immer wieder in die falschen Schränke. Und der introvertierte Kollege läuft bei der Präsentation des gemeinsamen Projekts knallrot an und gerät vor lauter Nervosität ins Stottern („Wie peinlich!“).

Wenn sich unsere Mitmenschen dazu durchringen, etwas zu tun, was eigentlich nicht ihren Stärken, Vorlieben und Erfahrungen entspricht, verdient dies Anerkennung und Ermutigung. Selbst wenn jemand anderes es bestimmt besser hingekriegt hätte. Wir sollten einander stärker dazu ermuntern, uns auch nächstes Mal wieder an etwas heranzutrauen, was uns nicht leicht von der Hand geht. Jedenfalls solange es nicht um Leben, Tod oder nur schwer zu verkraftende Verluste geht.

Also: Mehr Nachsicht mit dem, was „nur so-la-la“ ist und mehr Anerkennung für die Grenzgänger der Komfortzonen. Ein Hoch auf das (noch) Unperfekte!

VIABEL Foto Cornelia Fiedler

Über die Autorin

Cornelia Linnéa Fiedler ist Coach und systemische Beraterin. Sie arbeitet mit Menschen aller Altersgruppen und Hintergründe, online und weltweit. Ihre erste Lebenshälfte hat Cornelia in Deutschland verbracht, die zweite in Skandinavien. Sie war tätig in Unternehmen, Organisationen und Institutionen des Kultur-, Literatur- und Bildungsbereichs und hat sich dabei gemeinsam mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen auf die Suche begeben nach dem, was für sie das Richtige ist. 

Ihr Motto lautet: "Wo ein Wunsch ist, ist auch ein Weg."

www.viabel-coaching.com